St. Nikolai - eine Marienkirche

Maria im Chor von St. Nikolai, von Christus gesegnet

Das zentrale Bild der Deckenmalerei im Chor von St. Nikolai zeigt die Krönung Marias durch Christus. Es ist ein Hochzeitsbild. Maria und Christus sitzen als Paar auf einem prachtvoll verzierten Thron. Christus ist der Bräutigam und Maria die Braut. Aber wie kann Christus der Bräutigam sein, wenn er doch der Sohn von Maria ist? Das Rätsel löst sich, wenn man bei Paulus im Brief an die Korinther liest. «Ich eifere um euch mit göttlichem Eifer; denn ich habe euch einem Mann verlobt, um euch als eine keusche Jungfrau Christus zuzuführen» (2. Kor 11,2). Auch in der Offenbarung, Kap 19.7 steht: „Denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen und seine Braut Zion hat sich bereit gemacht.“ Maria vertritt sinnbildlich die Gemeinde. Es ist die Gemeinde, die als Braut Christi gekrönt wird.

Im Mittelalter wurde Maria im Volksglauben als Himmelskönigin verehrt und als Fürsprecherin angebetet, gleich wie Jesus Christus. In der Männerwelt der Kirche sehnten sich die Frauen nach einer mächtigen Himmelskönigin, die auch die Anliegen der Frauen vertrat. Aber das ging den Reformatoren der protestantischen Kirchen zu weit, und sie verbannten alle Marienbilder. Auch die Wandbilder unserer Nikolai-Kirche wurden um 1600 übertüncht und erst 1898 wieder freigelegt.

Die evangelische Kirche versucht heute, ein ursprüngliches biblisches Verständnis von Maria zu gewinnen und sie als Mutter von Jesus und auch als Vertreterin der christlichen Gemeinde zu würdigen. Auch die katholische Kirche bemüht sich, Maria von ihrem überhöhten Sockel als Himmelskönigin herunter zu holen. Aber das genügt vielen Frauen nicht.

In der Initiative Maria 2.0 fordern engagierte katholische Frauen den Zugang zu allen Ämtern der Kirche, die Aufhebung des Zölibats und Aufklärung der sexuellen Missstände. Sie berufen sich auf Maria, die in ihrem Lobgesang in Lk. 1,51 kämpferisch verkündete: „Gott stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.“ Diese Frauen riefen zum Streik vom 11.-18. Mai 2019 auf und verweigerten in der Woche den Dienst in der katholischen Kirche. Auch in der evangelischen Kirche begrüßen viele diese Initiative und fordern mehr Gleichberechtigung in der Männer-dominierten Kirchen-Hierarchie. So gewinnt Maria eine neue Bedeutung als herausgehobene Botschafterin der Gemeinde.

Klaus Busch